Lucy

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Lucy´s Geschichte:

Ende Januar 2011 rief ich auf einen Artikel des BLV hin bei der Katzenhilfe an und bot mich als Reinigungskraft auf der Katzenstation an. Es wurden Freiwillige für 1x/Monat für Reinigungsarbeiten auf der Station gesucht. Mitglied war ich schon ca. ein ¾ Jahr, aber ich wollte gern noch mehr machen. Ich war mit Katzen aufgewachsen und ihre leidlich buchstäbliche Vermehrung wie die Karnickel war mir nicht unbekannt. Gleich bei meinem ersten Besuch auf der Station wurde ich von Frau Duhr eingeladen, ihre Schützlinge zu begutachten. Dabei fielen mir Rocky und Vicky auf: ein etwas aufdringlicher 8-jähriger gefleckt/getigerter Kater und ein zauberhafter sensibler zurückhaltender Karthäuser-Mix mit einem Fell, als sei es mit Perwoll gewaschen. Ich war hingerissen von Vicky, was Frau Duhr sogleich bemerkte und versuchte, in diese Kerbe zu schlagen: Sie schlug vor, trotz Marivana – meiner schon im Haushalt lebenden 11-jährigen Katze – es mit Vicky als Zweitkatze zu versuchen.  Ich machte mir einige Tage Gedanken, fuhr wieder hin und was soll ich sagen? Rocky und Vicky waren in der zurückliegenden Woche prompt erfolgreich zusammen vermittelt worden. Ich freute mich für sie!

Danach ging ich in die Station und nahm die anderen Katzen in Augenschein:  Natürlich taten sie mir alle furchtbar leid, und ich hätte sie am liebsten alle gleich mitgenommen. Überflüssig zu sagen, dass es allen Helfern dort so oder so ähnlich erging.

Bei der Einweisung durch die anderen „Helferlein“ wurde ich sogleich auf Lucy aufmerksam gemacht: das sei eine kleine Hexe, die sich gerne zur Wehr setze. Bei den Schicksalen, die die dort behüteten Katzen teilweise durchgemacht haben, sollte dies keine Besonderheit sein; die wenigsten haben eine respektvolle Behandlung durch Menschen erfahren. Gleichzeitig fiel mir Lucy als ein wunderbar süßer Fratz auf, ähnlich unwiderstehlich wie Audrey Hepburn in „Sabrina“… Was ich von Frau Duhr über Lucy erfuhr, verstärkte mich nur in meinem ersten Eindruck: Sie war zusammen mit ihrem Bruder in einem zugeklebten Pappkarton auf dem Bremer Vulkangelände aufgegriffen worden. Sie und  Viktor hatten aus einem Oktober-Viererwurf überlebt; ein drittes Kitten lebte noch beim Auffinden, verstarb dann aber auf der Station: sie hatten also miterleben müssen, wie ihre Geschwister neben ihr auf jämmerliche Weise verreckt waren – sie und Viktor waren dem Tod quasi von der Schippe gesprungen. Viktor war weiß/grau-getigert; Lucy war eine Tricolor-Schönheit, marmoriert mit weißem Brustlatz.

Die insgesamt ca. drei Stunden, die ich in den darauffolgenden Samstagen auf der Katzenstation mitgeholfen hatte, sabbelte ich unaufhörlich: das war das einzige, was ich in dem Moment für sie Gutes tun konnte. Leider war auch meine Zeit als Vollzeitarbeitskraft mit meinem Lebensgefährten, Eigenheim, Hund, Katze und vier Aquarien zuhause zeitlich sehr eingeschränkt. Es war halt alles eine Sache der Organisation!

Ich zermarterte mir mein Gehirn  – ich merkte, dass Lucy meine Gedanken nicht mehr los ließ. Ich versuchte, sie in der Firma und anderen Orten an den Mann zu bringen, aber lt. Einschätzung von Frau Duhr wäre sie nicht handzahm und damit für einen „Otto-Normalverbraucher-Katzenhalter“ nicht händelbar. Somit war Lucy für´s erste nicht vermittelbar. Nach diversem Hin- und Herüberlegen („ich kann sie aufgrund des Alters meiner Katze nicht nehmen“) bin ich während eines Frühjahrsputzes im  eigenen Garten auf eine – wie ich meinte – geniale Idee gekommen: ich nehme sie für´s erste und versuche, sie handzahm zu bekommen, bis sie vermittelt ist bzw. sich als vermittelbar herausstellt. Denn die Perspektive, die Lucy hatte, war keine besonders gute: Sollte sie bis zum Frühlingsanfang, wenn es wärmer wird, sich immer noch nicht anfassen lassen, riskiere sie es, rauszufliegen; sprich: für sie wird mit anderen unzähmbaren Katzen zusammen ein Bauernhof gesucht, wo sie sich einigermaßen sicher fühlen können, wo sie aber auf jeden Fall grundversorgt werden – was die Aussicht auf ein verregnetes Frühjahr nicht gerade verlockender macht… Der Platz wird aber auf der Station für die nicht einschätzbare Anzahl von Maikatzen dringend benötigt! Wer sich nicht handzahm zeigt, hat leider nur die eine Möglichkeit, sich auf einem abgelegenen Bauernhof durchzuschlagen. Dieser Umstand ist leider den noch immer viel zu vielen nichtkastrierten Hauskatzen zuzuordnen. Dem wollte ich mich nicht geschlagen geben und beschloss kurzerhand, sie bei uns aufzunehmen. Jetzt hatte sie die Gelegenheit, ihre Chance zu ergreifen und sich auf die Menschen einzulassen!

Und so erging es Lucy als ehemalige Vulkan-Fundkatze bisher in ihrem neuen Zuhause:

Am Montag, den 14. März 2011, holte ich sie gegen 13.00 Uhr bei der Katzenhilfe ab. Lucy wehrte sich mit Kräften und allem, was sie gegen uns vorbringen konnte, Frau Duhr und ich brauchten drei Versuche, um sie mit Hilfe des Keschers in die Transportkiste zu bugsieren.

Auf der Rückfahrt bemerkte ich, dass ich die Mitnahme eines Katzenklos schlichtweg vergessen hatte, und fuhr noch kurz am Futterhaus vorbei und versorgte mich mit Utensilien für eine zweite Katze im Haushalt. Schließlich lebte schon seit vier Jahren „Marivana“ bei uns, ebenfalls ein Fall aus der Katzenhilfe (herausgeholt aus schlimmsten Misshandlungen, heutzutage schmusig wie kaum eine andere), ich war aber zu Zeiten ihrer Ankunftszeit 2007 noch kein Mitglied.

Zuhause angekommen, musste ich Lucy als neues Familienmitglied erst einmal im Erdgeschoss unserem „Glen“ vorstellen, ohne dem geht nichts: Glen ist unser 3 1/2 –jähriger Doggenrüde, der Marivana ohne Einwendungen als Mitglied des Familienrudels akzeptiert hatte, wobei Marivana aus ihren Vorleben schon das Zusammenleben mit großen Hunden kannte. Das Zusammentreffen von Lucy und Glen stellte sich als problemlos heraus, da Lucy sich mit ihrem Gefängnis eigentlich sowieso nicht abfinden wollte, dies aber musste,  und Glen sich von dem fauchenden Etwas nicht weiter beeindrucken ließ, sondern die Nase in die Luft hielt, um ihre Witterung aufzunehmen. Man fasste sich gegenseitig ins Auge und beließ es dabei.

Nun ging es in die obere Etage, wo Marivana, unsere „Prinzessin auf der Erbse“, ihr Refugium hatte und auch nicht gewillt war, dieses mit einer zweiten Göttin neben ihr zu teilen. Kaum, dass Lucy aus ihrem Transportkorb befreit und bäuchlings unter die Badewanne gekrochen war, besuchte ich mit Marivana unser Badezimmer. Sie fauchte und jaulte, was die Stimmbänder hergaben. Da hatte ich sie etwas anders eingeschätzt, da sie selbst früher das Opfer von Mobbing-Angriffen ihrer drei Katzenkollegen in ihrem ehemaligen Zuhause war und ich eigentlich davon ausging, dass sie deswegen defensiv auf fremde Katzen reagieren würde. Das Gegenteil aber war der Fall. Das Ergebnis war, dass Marivana sich kaum noch beruhigen konnte, sie aber Lucy´s Ankunft glücklicherweise nicht unmittelbar mit mir in Verbindung brachte, so dass sie immer noch auf Schmusekurs mit mir ging. Lucy aber verzog sich unter die Badewanne und ward den Rest des Tages nicht mehr gesehen.

Verabredet zwischen mir und meinem Lebensgefährten Lutz war der Grundsatz: Wenn Lucy kommt, alle Türen zu! Schon am ersten Abend schien das in die Hose gegangen zu sein. Am Abend erhaschte ich mit meinen Blicken noch eine schwarze Schwanzspitze, das war´s dann.

Ich ging mit Marivana schlafen (das waren „ihre“ 10 Minuten Schmuseritual am Tag), und bald fielen mir die Augen zu. Kaum dass ich eingeschlafen, hörte ich Marivana jaulend und knurrend auf etwas losstürzen. Da konnte nur Lucy in der Gegend gewesen sein! Es flog zwar kein Fell, aber seitdem war Lucy weg! Das war am Abend des 14. März 2011, gegen 23.30 Uhr. Ich verzog mich mit Marivana aus der oberen Etage, um Lucy Gelegenheit zu geben, ihr neues Zuhause zu erkunden. Als nach gut 12 Stunden immer noch nichts von Lucy weder zu sehen noch zu hören war, machte ich mich auf die Suche: das Obergeschoss, das Erdgeschoss, das Dachgeschoss, der Keller. Stunde um Stunde. Lucy war weg! Ich musste mir eingestehen, dass sie uns wohl doch durch die Lappen gegangen war, sie musste irgendwo einen Weg nach draußen gefunden haben, obwohl Frau Duhr mich so eindringlich davor gewarnt hatte, sie rauszulassen! Als Fundkatze wäre sie auf und davon!

Am Abend des 15. März, Dienstag, bereitete ich Futter für Hund, Katze und Fische zu. Dabei schlich Marivana durch unser Obergeschoss und saß auf einmal knurrenderweise mit dickem Schwanz vor der Badezimmertür. Aha – da musste Lucy also irgendwo sein. Ich eilte ins Badezimmer und sah sie hinter dem Waschtisch-Unterschrank verschwinden. Dabei stellte sich heraus, dass sie nicht im Waschtisch-Unterschrank verschwunden war – wo wir schon gesucht hatten -, sondern darunter: Vorn drumherum war eine Holzblende angebracht, dahinter aber war der Unterschrank hohl. Darauf wären wir im Lebtag nicht gekommen! In diesen 10-cm-Schlitz hatte sie sich hineingezwängt und die nächste „Gefahr“ abgewartet. Die kam nicht und so traute sie sich – wahrscheinlich vom Hunger getrieben – wieder hervor, als es dunkel wurde. Also Marivana ins Erdgeschoss verbannt und mich bäuchlings ins Badezimmer gelegt. Lucy aber hatte Angst und zeigte mir symbolisch einen „Stinkefinger“.

Des nachts sah das ganz anders aus: Sie traute sich hervor und nahm das ganze Obergeschoss in Augenschein: Badezimmer, Flur, Küche und Wohnzimmer. Sie fing an, jaulend zu miauen, ich versuchte, sie säuselnd zu locken. So lief das dann die nächsten Nächte ab. Meine „alte“ Marivana nahm mit Glen und ihrem Umzug samt Napf und Kiste ins Erdgeschoss vorlieb und beschloss, die nächsten Tage zu schmollen. Katzen eben…

Lucy dagegen taute immer mehr auf: von Nacht zu Nacht traute sie sich mehr zu und kam schon in der zweiten Nacht zu mir aufs Bett gesprungen und stolzierte um mich herum. Alles stets auf Absprung, aber da sich nichts regte, wurde sie immer frecher. Sie traute sich sogar zu, reihum die Bettdecke hochzuheben und ihre Krallen in meinen Zehen einzuhaken … Kleine Katzen in ihrer Position sind zwar ängstlich, aber nicht minder neugierig…

Appetit legte sie immens an den Tag. Kaum ein Moment, an dem ich nicht einen für sie bereitgestellten Napf wieder auffüllen konnte. Inzwischen hatte ich mich mit Junior-Futter versorgt. Damit hatte ich es wohl etwas zu gut gemeint, denn nach drei Tagen war sie ihrer Meinung nach so gut gesättigt, dass sie sich nicht mehr zwecks Futteraufnahme an mich herantrauen musste. Aber sie kam immer öfter mit aufgestellten Stert neugierig an mich heran, warf sich auf die Seite und fing an, sich in meiner Nähe zu putzen. Das war für mich ein erster Erfolg! Ich glaubte an sie und fühlte mich bis dato meiner Annahme bestätigt. Lucy hatte Potential!

Nur ans Anfassen war überhaupt nicht zu denken! Sobald eine Hand für sie sichtbar von vorne auf sie zukam, nahm sie Reißaus. So griff ich zu einem alten Insider-Tip: Mit Speck fängt man Mäuse! Ins Kätzische übersetzt heißt das: mit der Aussicht auf frisches Rinderhack lässt sich – zumindest vorübergehend - auch die größte Angst überwinden! So kam sie schließlich so nahe, dass sie mir und Lutz quasi aus der Hand fraß, und erstaunlich in diesem Zusammenhang für mich war, dass sie nicht in meine Finger hineinbiß, sondern sie ableckte. Das ließ für mich auf Kooperation hoffen statt auf Aggression.

Schon nach drei Tagen in ihrem neuen Zuhause kamen die ersten zaghaften Versuche, mir das Hack mit einer rekordverdächtigen Geschwindigkeit aus der Hand zu klauben. Klauangriffen mit den geradezu dolchbehafteten Pfoten versuchte ich mit ebenso rekordverdächtigem rechtzeitigem Zurückziehen meiner „Pfote“ zu begegnen. Sie sollte sich ja mir annähern und nicht ich ihr so weit wie möglich mit dem Fleisch hinterherkriechen…

Ich war so begeistert von dem Fleischtrick, dass ich es wohl etwas übertrieb: am nächsten Morgen schlug mir schon eine geraume Duftwolke entgegen – Durchfall auf dem Flur! Sie hatte es wohl nicht mehr ganz ins Bad geschafft, obwohl sie von Anfang an 100%ig sauber war. Das war auf der Station intelligent gelöst: Die Katzen sitzen in Käfigen und haben Futter, Wasser, eine Liegeunterlage und ein Klo. Da sie instinktiv ihre Exkremente vergraben wollen, bleibt ihnen nur die Streu im Klo. In ihrem späteren Zuhause kennen sie auf diese Weise zumindest schon das Katzenklo mit dem darin befindlichen Streu. Später erst brachte ich in Erfahrung, dass sie sich nicht traut, angelehnte Türen aufzustoßen, so wie es für meine alteingesessene Katze Marivana das Normalste von der Welt ist. Wo sie hineinwill, kommt sie auch hinein!

So wurde Frischfleisch erst einmal von der Speisekarte gestrichen. Leckerlis in allen erdenklichen Formen und Farben (aber nur von der „lilanen“ Futtermarke) wurden ebenso gerne aus der Hand genommen. Alles aber unter ständiger ganzkörperlicher Spannung.

Nach zwei Tagen wollte ich das Fleisch wieder einführen – sozusagen als „Ritual“: Immer morgens und abends, wenn jemand hineinkam in die obere Wohnung, die sie nun als ihr Territorium in Beschlag nahm, sollte sie zwei in der Hand warmgerollte Hackbällchen kriegen. Das bekam ihr - und hatte sie ganz schnell raus! Vor allem aber vermißte sie das leckere Hackbällchen anschließen in ihrem Napf und ließ ihr Nassfutter erst einmal stehen. Bevor man sich ans „Normalo-Futter“ bindet, sollte man als Katze sehen, ob sich nicht noch was Besseres findet! Da es ihr nun schon so gut ging, dass sie meinte, sie könnte mäkeln, ließ ich sie alleine und hörte auch nachts nichts mehr von ihr. Bis auf zwei, drei Nächte, in denen sie sich zaghaft auf die Matratze – nicht auf die Bettdecke – traute, nachdem sie ihr Versteck im Badezimmer das erste Mal verlassen hatte, bekam ich nachts nichts von ihr mit. Morgens war der Napf dann doch meist leer.

Auf dem Weg zu den für sie zu erwartenden Streicheleinheiten bediente ich mich eines bei Martin Rütter abgekupferten Tricks:

Ich setzte mich so mit ausgestreckten Beinen auf den Fußboden, angelehnt an eine Wand, dass ich relativ entspannt saß, weil ich mich möglichst wenig bewegen wollte, um Lucy nicht gleich wieder zu verschrecken. Auf diese Weise musste sie sich mir schon gewaltig nähern, wollte sie an diese verführerisch duftenden Fleischbällchen in meiner Hand herankommen.

Immer, wenn sie nun versuchte, diese mit ihrem Mäulchen zu fassen, hielt ich das Fleisch so zwischen Daumen und Zeigefinger, dass Lucy gezwungen war, mit meiner Hand in Kontakt zu kommen, wenn sie ans Hack herankommen wollte. Mit der Zeit, als das reibungslos ging, weil sie feststellte, dass diese so schrecklich wirkende Hand ihr gar nichts tut, fing ich an, ihr mit meinen freibleibenden Fingern derselben Hand vorsichtig das Kinn zu kraulen, während sie nur an dem Fleisch interessiert war, so dass sie meine Hand gar nicht so sehr registrierte. Dieses Ritual behielt ich bei: immer, wenn ich sie morgens nach dem Aufstehen und abends, wenn ich aus dem Büro heimkehrte, begrüßte. So fing sie langsam an, mich zu begrüßen, weil sie mein Kommen mit Fleisch verband und kam nun schon mit erhobenem Stert auf mich zu.

Ich fand auch raus, wo sie sich in ihrer Angst ein zweites Versteck eingerichtet hatte: Hinter unserem Aquarium, zwischen Becken, Wand, Tisch und einem darüber angebrachten Regal war noch ein ca. 15 x 15cm großer Spalt offen. Wenn man sich nicht bewegt, hört einen auch niemand! Und man hat die Tür im Blick und kann so kontrollieren, wer in den Raum hineingeht! Das Aquarium an sich als Katzenfernsehen war nur die ersten Stunden interessant.

Nun folgte an jedem Tag etwas Neues: An einem Tag ließ ich das Schlafzimmerfenster auf (natürlich mit Insektenschutznetz davor). So kann sie schauen, was sich so auf der Straße tummelt. Meist aber mag sie sich das erst im Dunkeln antun ob des ganzen Verkehrs, der da vorbeirauscht. Dann ließ ich mal die Balkontür (ebenfalls mit Insektenschutznetz gesichert) auf. Da ging schon die Nase hoch – endlich ließ sich der Frühling schnuppern! Aber auch hinter der geschlossenen Balkontür saß sie von nun an gerne und schaute in den Garten: unser Hund, Nachbars Hund(e), Vögel auf dem Balkon, Eichhörnchen in den Bäumen, Nachbarn auf den Balkonen – etwas zu schauen gibt es immer. Vielfach liegt sie nun auch einfach auf dem Teppich (ganz erschöpft von ihrem „Schwanzkriegen“) und schaut sich unser Kommen und Gehen in der Wohnung an. Zwar alles mit einer gewissen Sicherheitsabstand, aber wenigstens nahm sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gleich Reißaus.

Ich kam auf den fulminanten Gedanken, ihr frisches Grün angedeihen zu lassen. Im Gegensatz zu Marivana, die jetzt im zeitigen Frühjahr nach draußen drängt und ihren Bedarf an Grünzeug dort nach Lust und Laune decken kann, kam Lucy ja an so etwas nicht heran. Also zog ich Grassamen an und stellte den Minirasen zu ihrer Futterbar. Das war abends. Sie muss sich über das Gras gefreut haben, denn sie hat sich gleich in der folgenden Nacht drüber hergemacht. Allerdings nicht ganz so, wie ich es mir gedacht hatte. Am nächsten Morgen fand ich folgende Situation vor: Topf und Übertopf lagen in zwei gegenüberliegenden Ecken des Raumes und die Erde sowie das ehemals darin befundene Gras dazwischen im ganzen Raum gleichmäßig über den ganzen Fußboden verstreut. Klar – sie kannte ja kein Futtergras. Woher auch? Auch kannte sie keinen Kratzbaum. Sie wunderte sich schon über sich selbst, dass sie, wo sie auch stand, saß oder lag, mit ihren langen Krallen hängenblieb. Wie sollte ich ihr das Kratzen mit den Vorderpfoten am Kratzbaum auch zeigen? Sie ließ sich ja nicht anfassen!

Nachdem sie ca. zwei Wochen Gelegenheit hatte, sich einzugewöhnen und ihr neues Reich sowie die dort vorhandenen Verstecke kennenzulernen, ließ ich Marivana herein. Lucy war kaum gesichtet, da ging die Jagd auch schon los. Sie war aber ruck-zuck hinterm Aquarium verschwunden; Marivana kam gar nicht so schnell hinterher, dass sie ihr Versteck rückverfolgen konnte. Dort saß sie dann auch noch, nachdem Marivana den Raum längst schon wieder verlassen hatte. Irgendwann trieb der Hunger sie hervor und sie machte sich über ihren Napf her. Das war auch so etwas ganz anderes, als ich es von Marivana gewohnt war. Die hat meist erst einmal die Nase gerümpft, ganz egal, mit was ich es wagte, ihren Napf zu füllen. Das, was ich 2x am Tag in der Katzentoilette fand, entsprach auch so ziemlich den drei Bissen, mit denen sie ihren Kalorienbedarf bestritt. Bewundernswert! Bei Lucy war das ganz etwas anderes! Sie nahm zwar auch nicht mehr alles, was man ihr vorsetzte – aber das meiste! Mit einem Appetit, der jedem dahergelaufenen Streuner zu Ehren gereicht hätte. Und das kam auch reichlich wieder heraus. 4x pro Tag das Katzenklo reinigen war noch wenig.

Aber wir stellten uns darauf ein und Lucy begann, sich auf uns einzustellen. Besonders dann, wenn wir in der Küche hantierten. Egal, ob es verlockend roch oder nicht. So nach ca. 10 Tagen, ich war gerade dabei, das Futter für Hund und Katze vorzubereiten, bemerkte ich etwas Warmes an meinen Beinen. Sie legte zaghaft ihren Schwanz um meine Waden. Aha! Ein Anfang war geschafft! Das geschah nun immer öfter und wurde auch für Lucy eine vertraute Geste. Schließlich – so nach 14 Tagen – erzählte Lutz mir, aus der Küche kommend, wie sie sich gerade von ihm wie selbstverständlich hat streicheln lassen! Vorsichtig zwar und zurückhaltend, aber sie ließ sich anfassen! Nun begriff sie langsam, dass Menschenhände nicht nur grob und häßlich, sondern auch nett und zärtlich sein können.

Mittlerweile kommt sie mit hoch erhobenem Stert auf uns zu, sobald einer von uns die Wohnung betritt (außer auf Marivana natürlich) und streicht uns derart hartnäckig um die Beine, dass man sie schon mal umrennt. Dann springt sie etwas empört zur Seite, um sich gleich darauf wieder ranzuschmeißen. Inzwischen wirft sie sich beim immer noch vorsichtig genossenen Streicheln auch schon mal auf die Seite, um sich ein wenig den Bauch kraulen zu lassen. Dabei sollte man aber gehörig aufpassen, dass sie nicht aus lauter Übermut ihre Strampelpfoten einsetzt und die dann zurückweichende Hand versucht, mit den Vorderpfoten wieder „einzufangen“, damit zügig weitergestreichelt wird.

Auch lässt es sich inzwischen nicht vermeiden, dass sie mit Marivana aufeinanderprallt. Die ersten Male noch Gejaule mit Buckel und Flaschenbürste auf Seiten Marivanas, dann musste auch sie feststellen: das dumme Ding ist ja immer noch da! Seitdem wird jeden Tag fleißig die Kontaktaufnahme trainiert: Das Jaulen und Knurren hat etwas nachgelassen. Das Kriechen auf dem Bauch wurde noch beibehalten, da man auf diese Weise viel besser kontrollieren kann, wo denn, verdammt noch mal, dieser lästige Eindringling geblieben ist! Inzwischen thront sie auf ihrem Kratzbaum und stiert auf Lucys Versteck wie auf ein Mäuseloch. Wenn ich sie dabei streichle, lässt sie sich auch ganz gut besänftigen – bis Lucy hervorkommt! Dann geht die Jagd los und Lucy gibt Hackengas! Damit endet bislang noch jeder Versuch der Kontaktaufnahme.

Nach nun fast vier Wochen ist auch hier ein zufriedenstellendes Stadium erreicht worden: Lucy traut sich nach dem ersten Verstecken aus ihrer Höhle, trotz Marivanas Anwesenheit, und wird – nur zeitweise zwar, aber immerhin – von der „Alten“ ignoriert, indem sie ihr demonstrativ den Rücken zudreht. Das würde für ein evtl. zukünftiges Zusammenleben  ja fast schon reichen!

Auch hatte sie wohl inzwischen begriffen, dass es schlauer ist, - wenn überhaupt - dem im Hause innewohnenden Skeptiker die spontane Zuwendung zukommen zu lassen. Schließlich hatte Lutz bezüglich Lucys Einzug bei uns nur zugestimmt, weil er bemerkt hatte, dass ich mich schon längst in diesen kleinen süßen Fratz verliebt hatte. Da war es natürlich strategisch vielversprechender, den Menschen zu überzeugen, der evtl. abschließend über ihr Bleiberecht entscheiden sollte (der da sein sollte: Lutz…)!

Nach vier Wochen hat sie nun tatsächlich auch den Weg nach unten gefunden:

Wer sich am meisten darüber freut, ist unser Doggenrüde Glen. Lucy weiß, dass sie im Notfall den Fluchtweg nach oben hat und Glen weiß dies ebenso. Aber es ist ja sooo spannend, dieses neue Familienmitglied einfach mal ganz nah in Augenschein zu nehmen. Und beschnuppern nach Hundeart ist ja noch viel aufregender!! Nur, dass Lucy genau das so oft so falsch versteht!! Genauso wie Marivana. Die „Alte“ gibt sich oftmals schlichtweg arrogant und wendet sich einfach ab. Lucy aber ist mindestens genauso neugierig wie Glen und auf halber Strecke begegnet man sich dann: Wir versuchen in dieser Situation, Glen hinzulegen, damit er für Lucy nicht so groß aussieht; Lucy kommt dann meist von ganz alleine. Das Bild, wenn sie sich dann Nase an Nase beschnuppern, ist zum Brüllen! Die kleine süße Lucy, ausgestreckt kaum 50cm lang und daneben Glen, der sie als ausgewachsene Deutsche Dogge locker im Maul verstecken könnte! - Bislang hat Lucy – vielfach ganz im Gegensatz zu unseren Spielversuchen – bei Glen ihre Krallen drin gelassen und nur mal sanft, fast verlegen, ihre Vorderpfote gehoben – Glen dachte bestimmt ganz angestrengt nach, wann das das letzte Mal ein Hund mit ihm gemacht hat. Wenn er Marivana sieht, ist es für ihn langweilig -> schwarz-weiß = alte bekannte Katze; wenn er Lucy dagegen sieht -> dreifarbig dunkel = unbekannte neue Katze! Sein Blick dabei spricht Bände!!!

Inzwischen haben sich alle anderen Bewohner im Hause mehr oder weniger an Lucy gewöhnt bzw. sich gewöhnen müssen, da sie ja nun mal da und offensichtlich nicht gewillt war, schneller als unbedingt nötig wieder auszuziehen.

Sie hat nun nach der oberen Etage auch fest das Erdgeschoss erobert. Nun heißt es also überall: Türen zu! Das gefällt unseren anderen beiden „Viechern“ Glen und Marivana, überhaupt nicht. Früher konnte man – so es das Wetter erlaubte – schließlich auch nach Lust und Laune raus und wieder hereinkommen.

Von der oberen Etage kommt Lucy immer wie ein kleines Trampeltier. Kein Wunder, hat sie sich doch inzwischen ein rundes Bäuchlein angefressen und eine Energie abzugeben, die für drei reicht! Kaum erscheint sie auf der Bildfläche, steht unser Glen auf und begrüßt sie geradezu. Dafür kommt er ihr mit seinem Riesenschädel von oben entgegen und sie reckt sich ihm köpfchengebend an Kopf und Beinen entlang. Glen versucht dann immer, sich möglichst ruhig zu verhalten, da er inzwischen die Erfahrung gemacht hat, je wilder er sich nach Hundeart freut, um so schneller ist die Katze wieder weg. So steht er da wie eine Statue und muss aber mindestens mit seiner Rute wedeln. Da er auch das zu unterdrücken versucht, kommt da eher ein Geeiere denn ein Wedeln bei heraus…

Marivana ist da nicht ganz so erfreut. Sie hat sich inzwischen von Lucy abgeschaut, dass es sich hinter der Sofalehne wunderbar auf die Lauer legen lässt und so abwartet, bis Lucy am Sofa vorbeigeht, um sich dann auf sie zu stürzen. Aber man hat sich auch schon Nase an Nase beschnuppert. Nach ca. 3 Monaten Asyl scheint also auch Marivana einem Bleiberecht zuzustimmen. In den meisten Fällen versucht sie, die kleine Rotzgöre zu ignorieren, was ihr auch schon oft gelingt – aber eben nicht immer. Ab und an frisst sich bei ihr der Frust Bahn und sie muss Lucy mal eben im Vorbeigehen in die Flucht schlagen. Aber Lucy lässt sich davon nur vorübergehend beeindrucken.

Wo es noch ein bißchen sehr knartscht, ist das Thema Katzenklo. Wenn eine drauf sitzt, versucht die andere, sich ihr zu nähern – ich vermute mal, nicht immer unbedingt in der freundlichsten Absicht. Von daher versuche ich in solchen Momenten, eine direkte Konfrontation zu unterbinden, da in einer solchen Situation für die sich gerade lösende Katze die Fluchtmöglichkeit fehlt. Außerdem hat genau diese Erfahrung Marivana in einem ihrer früheren Zuhause schon mehrfach machen müssen. Und diesem Stress wollte ich meine Katzenoma auf keinen Fall mehr aussetzen.

Lucy ist ein kleiner Erklärbär geworden. Hat sie anfangs versucht, total still zu sein, um überhaupt nicht aufzufallen, ist ihr dieser Zug gänzlich verlorengegangen. Jetzt wird geplaudert, egal, ob es jemand hören will oder nicht. Sobald sie aber einen Jagderfolg verbucht hat, wird das Geplauder zu einem wilden Gejaule, fast so schlimm wie der Nachbarskater bei seiner Revierverteidigung. Wahrscheinlich soll man sie dann übern Klee loben, dass sie etwas gefangen hat. Worum ich mich eigentlich auch bemühe. Nur wenn sie aus dem Wintergarten die dicken schwarzen Kellerspinnen vor die Schlafzimmertür trägt, um sie dann dort wieder laufen zu lassen, weil es ja solch einen Spaß macht, immer wieder mit der Pfote draufzuhauen, dann geht mir der Spaß dabei doch etwas flöten. Dafür habe ich sie schließlich nicht aufgenommen, dass sie mich mit dicken Spinnen versorgt. Schnaken kann sie ruhig nach Herzenslust erlegen!

Unterm Strich hat sie uns alle ruck-zuck um den Finger bzw. ihren samtweichen Schwanz gewickelt! Manchmal weiß man nicht, ob man sie liebkosen oder vor ihr die Flucht ergreifen möchte! Aber sie ist immer wieder für eine Überraschung und vor allem für einen herzhaften Lacher gut – unsere kleine vorlaute Kröte Lucy!